100 Jahre Otl Aicher
Otl Aichers letzte Werke: Die Büsten der Geschwister Hans und Sophie Scholl im Stadthaus
Stadthaus Ulm

Portraitbüsten aus Bronze von Hans und Sophie Scholl, geschaffen von Otl Aicher. Foto: SP/Stadthaus
Bronzebüsten von Hans und Sophie Scholl, geschaffen von Otl Aicher
Foto: SP/Stadthaus
Wer die Treppen ins 1. Obergeschoss des Stadthauses empor geht, dessen Blick trifft auf zwei bronzene Portraitbüsten. Es sind die Abbilder von Hans und Sophie Scholl, den Ulmer Geschwistern, die als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und Mitglieder der Widerstandsgruppe "Die Weiße Rose" am 22. Februar 1943 zum Tode verurteilt und im Vollstreckungsgefängnis München-Stadelheim hingerichtet wurden.

Die Büsten wurden von Otl Aicher gestaltet, dem Schwager von Hans und Sophie Scholl und Ehemann ihrer Schwester Inge. Inge Aicher-Scholl war Gründerin und lange Jahre Leiterin der 1946 entstandenen Volkshochschule Ulm, Otl Aicher der weit bekannte Designer, der 1953 die Hochschule für Gestaltung gegründet hatte.

Otl Aicher war mit Werner Scholl, einem Bruder von Hans und Sophie, in den 1930er Jahren in eine Schulklasse gegangen und hatte sich mit den Scholls angefreundet. Aicher stand dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber und verweigerte beispielsweise beharrlich die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend. In den Widerstand der Geschwister Scholl war er jedoch nicht involviert gewesen. Inge Scholl und Otl Aicher heirateten 1952.

Im März 1991 trat die Stadt Ulm an Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher heran, um mit ihnen zusammen zum 50. Todestag der Geschwister Scholl am 22. Februar 1993 ein Mahnmal oder auch eine Gedenkstätte am Münsterplatz und im damals neu entstehenden Stadthaus zu entwickeln.

Der Kunst- und Kulturausschuss stimmte im Juni 1991 dem Vorschlag des damaligen Ulmer Oberbürgermeisters Ernst Ludwig zu, am Platz des früheren Wohnhauses der Familie Scholl am Münsterplatz (zwischen dem Stadthaus und dem Gebäude der Deutschen Bank) sowie im Stadthaus den Geschwistern und ihrem Wirken durch künstlerische Ausgestaltung zu gedenken.

In Gesprächen mit Oberbürgermeister Ernst Ludwig und Inge Aicher-Scholl entwickelte Otl Aicher seine Ideen. Neben einem Mahnmal am Münsterplatz sollten im Stadthaus zwei Büsten an die ermordeten Geschwister erinnern.
Otl Aicher besaß bereits eine vermutlich von ihm selbst in Ton modellierte Porträtbüste von Hans Scholl aus dem Jahr 1941. Diese überarbeitete er, um anschließend einen Abguss in Bronze fertigen zu können. Von Sophie hatte er zu ihren Lebzeiten Studien gemacht. Daraus gestaltete er nun eine Plastik, sodass von Hans und Sophie Scholl je eine Porträtbüste aus Bronze hergestellt werden konnte.

Nach ihrer Fertigstellung ließ sich Otl Aicher am 26. August 1991 von Hans Neudecker mit den fertigen Büsten fotografieren, bevor sie zum Guss von der Fa. Gugg aus Straubing abgeholt wurden. Am selben Tag erlitt er beim Rasenmähen einen schweren Unfall, an dessen Folgen er am 1. September 1991 starb.

Nach dem Tod Otl Aichers wurde das Projekt von Inge Aicher-Scholl weitergeführt. Im Frühjahr 1992 waren die Bronzebüsten fertiggestellt und wurden von der Stadt Ulm käuflich erworben. Am 50. Vorabend der Verhaftung Hans und Sophie Scholls veranstaltete die Stadt Ulm am 17. Februar 1993 eine Gedenkfeier im Ulmer Rathaus. Zu diesem Anlass wurden die Büsten der Öffentlichkeit vorgestellt. Nach der Eröffnung des Stadthauses im November 1993 siedelten die Büsten vom Rathaus ins Stadthaus über, wo sie bis heute ihren Platz im Saalfoyer auf Ebene 1 haben.
In Ihrer Rede zur Präsentation der Büsten dankte Inge Aicher-Scholl ihrem verstorbenen Ehemann: "Nicht zuletzt möchte ich Otl Aicher hier danken, der diese Büsten geschaffen hat. Er ist unmittelbar, nachdem er sie fertiggestellt hatte, einem Unfall zum Opfer gefallen. Otl Aicher war nicht nur eine ungewöhnliche schöpferische Begabung, er war für meine Geschwister und unseren Kreis ein Freund sondergleichen."

Die fast jederzeit im Stadthaus frei zugänglichen Büsten erinnern zu jeder Zeit an Hans und Sophie Scholl und ihren Kampf gegen das Unrechtsregime der Nationalsozialisten und rufen die Werte in Erinnerung, für die die Geschwister eintraten.