09. September 2007 - 27. Januar 2008
Itty Neuhaus: Home for Haus

Foto: Nik Schölzel
Foto: Nik Schölzel
Beim Anblick des Ehrfurcht gebietenden großväterlichen Schreibtischs beschlich Itty Neuhaus schon immer ein mulmiges Gefühl. Das wuchtige Möbelstück, entworfen von dem bedeutenden Laupheimer Jugendstil-Künstler Friedrich Adler, ist ein Relikt aus dem deutschen Leben des Ulmer Kinderarztes Dr. Hugo Neuhaus, der 1936 nach Amerika emigrierte.
Foto: Raimund Kast
Foto: Raimund Kast

Trotz massiver Drohungen hatte der Jude Neuhaus nicht aufgehört, in Ulm auch „deutsche“ Kinder zu behandeln, bis die Zeitschrift „Flammenzeichen“ im September 1935 die Namen aller Bediensteten des Ulmer Rathauses veröffentlichte, die mit ihren Kindern weiterhin zu Dr. Neuhaus gingen. Während sich Neuhaus rechtzeitig zur Auswanderung entschloss, blieb sein jüdischer Freund Friedrich Adler in Deutschland. Er wurde 1942 in Auschwitz ermordet.

Foto: Nik Schölzel
Foto: Nik Schölzel

Adlers schwarzer Schreibtisch beherrscht heute das New Yorker Arbeitszimmer von Hugo Neuhaus’ inzwischen selbst schon 80-jährigem Sohn. Dessen 1961 geborene Tochter Itty, eine international renommierte Land Art-Künstlerin und Kunstdozentin an der State University of New York at New Paltz, widmete im Stadthaus Ulm erstmals ihren deutschen Wurzeln eine Ausstellung und bezog sich dabei auf Gegenstände aus dem „deutschen Leben“ ihrer Familie.

In der Ausstellung „Home for Haus“ im Ulmer Stadthaus schafft Itty Neuhaus mit Mitteln der zeitgenössischen Kunst einen Zugang zu den Themen Herkunft, Heimat, Migration, Erinnerung und Verantwortung und gibt ein über das eigene Familienschicksal hinausweisendes, allgemeingültiges Bild über das Schicksal jüdischer Familien im „Dritten Reich“.

Foto: Nik Schölzel
Foto: Nik Schölzel

Ein Teil der Ausstellung widmete sich einem weiteren von der Familie Neuhaus nach Amerika hinübergeretteten Gegenstand, der dem im Deutschland der 1950er bis 1980er Jahre aufgewachsenen Betrachter sehr bekannt vorkam: die ausklappbare, mit vielen anatomischen Details ausgestattete Pappdame aus der Brockhaus Enzyklopädie des Wissens, mit deren Hilfe zwei Generationen von Neuhaus-Kindern in Amerika aufgeklärt wurden. In anderen Teilen der Ausstellung verknüpfte Itty Neuhaus in Installationen und Videoprojektionen das Schicksal der eigenen Familie mit dem der Familie Friedrich Adlers. Dass Adler den Absprung aus Deutschland nicht rechtzeitig schaffte, während die Familie Neuhaus frühzeitig emigrieren konnte, beschäftigte Itty Neuhaus auch in ihrer künstlerischen Arbeit sehr. Weiße, durchscheinende Wachspapierskulpturen, die den Schreibtisch des Großvaters oder einen von Friedrich Adler gestalteten Grabstein darstellten, bildeten im Raum schwebende, geisterhafte Silhouetten und waren Projektionsfläche für Videosequenzen, Klang- und Bildcollagen, in die die Besucher eintauchen konnten. Die Verflechtung von Objekten und Lebensbildern in der Ausstellung verstand Itty Neuhaus als Tribut an die vielschichtigen Gefühle, die der Großteil der ausgewanderten Juden ihrem deutschen Erbe gegenüber empfinden.

Foto: Nik Schölzel
Foto: Nik Schölzel

Zur Ausstellung bot das Stadthaus Ulm ein Begleitprogramm für Schüler an, etwa eine Lesung aus dem historischen Jugendroman „Etwas bleibt“, der zurzeit ins Amerikanische übersetzt wird. Die Autorin Inge Barth-Grözinger war gleichzeitig projektbetreuende Lehrerin von Schülern in Ellwangen, die sich auf die Spuren ehemaliger jüdischer Gymnasiasten begeben und dabei auch über die Jugend von Hugo Neuhaus recherchiert hatten.