Lediglich an dem einen freien Tag pro Woche, der ihnen gesetzlich zusteht, können die Hausmädchen die Isolation dieser ausbeuterischen Lebensrealität verlassen. Sonntag für Sonntag strömen tausende indonesischer Frauen in den öffentlichen Raum Hongkongs, um sich in Parks oder an anderen Orten mit Schicksalsgenossinnen zu treffen. Sie nutzten diese wenigen Stunden, um ihre emotionalen Bedürfnisse nach Vertrautheit, Geborgenheit und Nähe zu befriedigen. Indonesisches Essen und indonesische Musik sind als Ausdruck einer gemeinsamen kulturellen Identität wichtige Bestandteile der wöchentlichen Zusammenkünfte.
Auch die Sehnsucht nach Liebe und Partnerschaft erfüllen sich viele der Frauen in diesem sozialen Umfeld und gehen innerhalb der Gemeinschaft Paarbeziehungen ein. Dabei reinszenieren sie häufig die traditionellen Geschlechterrollen, die sie aus der muslimisch geprägten, sehr konservativen indonesischen Gesellschaft kennen. Tomboys – Frauen, die sich maskulin kleiden und geben – übernehmen den männlichen Part. Liebevoll zurechtgemachte Puppen ersetzen die fehlenden Kinder. Fernab von kontrollierenden Blicken entsteht so innerhalb der Gemeinschaft der indonesischen Hausangestellten ein Freiraum, der es den Frauen erlaubt, sich in einer Art Rollenspiel eine parallele Identität zu schaffen und ihre Sexualität auszuloten.
Da die Hausmädchen nur über wenig freie Zeit verfügen, spielt sich ein Großteil ihres sozialen Lebens in der virtuellen Welt von Facebook ab. Dort sind dem individuellen Ausleben ihrer Persönlichkeit keine Grenzen gesetzt. Über Selfies und teils mit großem Aufwand inszenierte Fotos schaffen sie frei von jeder Fremdbestimmung ein Alter Ego, das ihrem Wunsch nach Anerkennung und selbstbestimmter Lebensführung Ausdruck verleiht.
Die Ambiguität und Diskrepanz, die das Leben der weiblichen Hausangestellten in Honkong prägt, tritt in Apples for Sale deutlich zutage: Rebecca Sampson, die viel Zeit mit den Frauen verbrachte und ihre sonntäglichen Unternehmungen mit der Kamera dokumentierte, sammelte auch die Bilder aus den sozialen Netzwerken sowie private Aufnahmen der Frauen, die ihre Arbeitsbedingungen dokumentieren. In Kombination mit den braven Passbildern ihrer Bewerbungsunterlagen und herabwürdigenden Chatgruppen-Kommentaren der chinesischen Arbeitergeber*innen zeichnet sich das Spannungsfeld, in welchem sich die Hausangestellten bewegen, klar ab.
Die deutsch-amerikanische Fotografin Rebecca Sampson (*1984) lebt in Berlin. Ihre Leidenschaft gilt der Reportage-Fotografie und dem Visual Storytelling – eine Orientierung, die sie während ihres Studiums bei Prof. Ute Mahler an der Ostkreuzschule entwickelte. In ihren Arbeiten beschäftigt sich Sampson mit gesellschaftsrelevanten und sozialkritischen Themen. Sie ist Preisträgerin von „gute aussichten – junge deutsche fotografie“ und Stipendiatin des Foam Museums Amsterdam, der Robert-Bosch-Stiftung sowie des Literarischen Colloquiums Berlin. Ihre Arbeiten wurden u.a. in den Deichtorhallen Haus der Photographie, Hamburg, im Willy-Brandt-Haus, Berlin, und international in Amerika, Hongkong, Indien, Luxemburg, Mexiko, den Niederlanden, Polen, Österreich und Zypern präsentiert.
Kuratorin: Daniela Yvonne Baumann
Ausstellungseröffnung: Freitag, 25. März 2022, 19:00 Uhr
NEU!! Ohne Platzbegrenzung - Anmeldung möglich, aber nicht mehr erforderlich!
Hybride Ausstellungseröffnung: Zum Livestream
Ausstellungsführungen mit Daniela Y. Baumann
Sonntag, 27. März 2022, 11.30 Uhr (diese Führung ist bereits ausgebucht)
Sonntag, 1. Mai 2022, 11.30 Uhr
Sonntag, 22. Mai 2022, 11.30 Uhr
Sonntag, 5. Juni 2022, 11.30 Uhr
€ 3,50 Erwachsene, € 1,50 Kinder
€ 0,50 ab dem zweiten Kind einer Familie
Mit einer Anmeldung reservieren Sie sich Ihren Platz in der Führung!